Der Deutsche Popliteraturpreis

für Magic, Pop und Ewigkeit 2024. 

Ein Bericht eines unbeteiligten Zuschauers

Im Grandhotel Hettenbach45 

Also, es fing damit an, dass ich mit einem Glas Crémant vor dem Hotel Maximilian’s in Augsburg stand und auf den Fahrer wartete, der mich zur sagenumwobenen Preisverleihung des Deutschen Popliteraturpreises fahren sollte. Als wir in die Straße zum Grandhotel Hettenbach45 einbiegen wollten, war diese bereits gesperrt. Hunderte von Menschen standen auf dem Hof, alle synchron Champagner trinkend. Aus einem pinken Hubschrauber mit Magic-Pop-und-Ewigkeit-Logo, mit dem die Literaturhaus-Mitarbeiterin Lisa S. die Autorinnen und Autoren zu Lesungen abzuholen pflegt, stieg der berühmte Künstler Friedrich Liechtenstein. Er richtete seine vom Wind der Rotorblätter zerzausten Haare, lächelte freundlich und winkte seinen Fans. Zwei ältere Damen in perfekt sitzenden Kostümen von Katya Zlentsova kontrollierten die Tickets und untersuchten die Taschen nach Narkotika, Selfiesticks und Feuerwaffen. Als ich in das prächtige, mit einem riesigen Kronleuchter aus Murano-Glas geschmückte Foyer eintrat, sah ich eine meterlange Schlange. Sternekoch Simon Lang hatte einen kulinarischen Gruß aus seinem grandiosen Restaurant Sartory ins Grandhotel geschickt. Eine junge Frau stellte sich zum dritten Mal an, um eine Schale mit Ziegenkäsecreme, marinierter roter Bete, Wassermelone und Petersilienöl zu ergattern.

Nahaufnahme des Grandhotels Hettenbach45

Ein Baby auf Sylt

Als ich mich auf meinem Platz neben der Herrentoilette eingefunden hatte, begann Friedrich Liechtenstein “We have all the time in the world” zu singen. Er beendete seinen Song mit einem ausführlichen Roast des Preises und seiner Protagonisten – sie erröteten aus lauter Scham. Der junge Berliner Autor Leonhard Hieronymi, der neben der Autorin Verena Roßbacher und Weltenwandler Friedrich Liechtenstein in der Jury saß, musste dem Publikum eine Grußbotschaft per Video entrichten, da er nicht nach Augsburg reisen konnte. Sein drei Monate altes Baby war ohne gültigen Führerschein mit dem Familien-SUV in Richtung Sylt gefahren. Mir war indes schleierhaft, woher das Baby - magic? - diese Fähigkeiten bezog. Katrin M., Programmdirektorin des legendären Literaturhauses  Augsburg, führte in einem glamourösen Hosenanzug von Louisa Ballou pointenreich durch den Abend. 

Katrin M. moderiert das Baby weg

Die Stimmung kippte

Unter nicht abbranden wollendem Applaus betrat Dr. B. die Bühne und erklärte dem Publikum ein für alle Mal, was gute Literatur ist. In einer Art Übersprungshandlung putzte sich der als Experte für Literatur eingeladene Dr. Professor Hofrat Heinz Drügh die Nase. Obwohl die Stimmung im Publikum aufgrund Dr. Bs. nicht enden wollenden Vortrags längst gekippt war, verbeugte er sich immer und immer wieder, sodass seine Kollegin Dr. D., die wahre Chefin des Literaturhauses, ihn schließlich von der Bühne zerren musste. Beschämt stahl sich Dr. B. davon und traf erst Stunden später zufällig wieder mit dem Autor Timon Karl Kaleyta, dessen Lektor und der extra angereisten, für den Bachmannpreis 2024 nominierten Autorin Sophie Stein bei einer Technoparty im legendären City Club zusammen. Es war alles ein bisschen viel. Dr. D. trug ein funkelndes goldenes Kleid von Karoline Vitto, das wohl von integrierten Scheinwerfern ausgeleuchtet gewesen sein musste. Ich fand das im Nachhinein ausgesprochen schlau, war es doch ein ziemlich pfiffiger Verweis auf Ludovica Malabene, die Protagonistin des Gewinnerinnenromans “Drifter”. Mir schien, als ob sie den ganzen Abend über die Bühne schwebte. 

Und er las und las und las …

Ein unzuverlässiger Erzähler

Nach nur kurzer Zeit, es dürften nicht einmal 17 Minuten gewesen sein, betrat ein etwas zu klein geratener Saaldiener, der stark an den Zwerg aus dem Roman “Heilung” erinnerte, würdevollen Schrittes die Räumlichkeiten und zog den sich stark wehrenden Autor mit einem hölzernen Haken von der Bühne. Die Show konnte endlich weitergehen. Als der neidische Autor entfernt worden war, musste sich die Finalistin Ulrike Sterblich in Luft aufgelöst haben, denn neben Timon Karl Kaleyta und Charlotte Krafft klaffte auf der Couch eine Lücke. Nur eine schmale Rauchsäule erinnerte noch daran, dass dort vor kurzem jemand gesessen hatte. Ich muss dazu sagen, liebe:r Leser:in, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits ein bis vier August Gin getrunken hatte und zudem direkt vor einem Boxsack saß, der aus unerfindlichen Gründen vom Gebälk des Saales hing. Ich konnte nur schemenhaft erkennen, was sich auf der Bühne ereignete. 

Ein Hater stürmte die Bühne

Als erste der drei Finalist:innen las Charlotte Krafft aus ihrem Roman “Marlow im Sand”. Sie hatte eine derart mesmerisierende Stimme, dass ich am Ende nicht mehr wusste, ob ich in die Roman-Detektivin mit dem Namen China oder in die Autorin verliebt war. Im Roman konnte man Eigenschaften des Gegenübers durch Zuneigung erben. Etwas derart Verrücktes hatte ich in meinem Leben noch nicht gehört. Im Anschluss trug Timon Karl Kaleyta eine Jagdszene aus “Heilung” vor, in der ein Zwerg, ein Weichei und ein Professor auf einem Schneemobil zur Bärenjagd fahren. Als der namenlose Held dem Bären das Messer in die Brust rammte, musste ich sehr weinen. Danach begann die dritte Finalistin, Ulrike Sterblich, eine Passage aus ihrem äußerst merkwürdigen Roman “Drifter” vorzulesen. Es ging um die diabolische Figur mit dem Namen Vica, die in einem Wohnblock alles durcheinander brachte. Plötzlich stürmte ein Mann in einem mit pinken Hummern bedruckten Anzug die Bühne, wild gestikulierend, und schrie: “Dieser ganze Preis ist doch ein abgekartetes Spiel, ein einziges Gemauschel! Ich hätte hier aus meinem Roman lesen müssen! Der wahre Gewinner des Deutschen Popliteraturpreises 2024 steht vor Ihnen, meine Damen und Herren!”

Unbeeindruckt vom Intermezzo v.l.n.r.: Timon Karl Kaleyta, Ulrike Sterblich und Charlotte Krafft

SHRUG

Nach diesem rather strangen Intermezzo verfolgte die überdurchschnittlich scharfsinnige Jurorin Verena Rossbacher achselzuckend das Gespräch mit den beiden übrig gebliebenen Autoren weiter. Friedrich Liechtenstein hatte inzwischen endgültig die Nase voll und gab seine Jurorenstimme an die neueste Mitarbeiterin des Literaturhauses, Patricia Th. ab.  

Die wahnsinnig gute Autorin Verena Roßbacher scherte sich nicht um die Hanswurstiaden um sie herum

Die deutsche Literaturwelt jubelt

Endlich war der wichtigste Moment des Abends, nein des ganzen Jahres, gekommen: Wer würde den prestigeträchtigsten aller deutschen Literaturpreise bekommen? Die Jury zog sich zur Beratung hinter die Bühne zurück, während Friedrich Liechtenstein eigentlich das Publikum unterhalten sollte, nun aber dazu übergegangen war, deprimiert in seinem Stuhl vor sich hin zu murmeln. Aus dem Off drangen Geschrei und wüstes Vokabular in den Zuschauersaal, das ich hier nicht wiederholen möchte. Später erfuhr ich aus sicherer Quelle, dass es wohl hinter den Kulissen eine Rangeleien gegeben haben muss. Nach einer Weile traten Patricia Th., Verena Rossbacher, die nun lädiert aussehende Dr. D., Katrin M. und Dr. B. wieder auf die Bühne. Weißer Rauch stieg aus dem Kamin des Grandhotels in Augsburg, Oberhausen, auf. Die Würfel waren gefallen. Dr. D. verkündete die Gewinnerin des Deutschen Popliteraturpreises 2024: Ulrike Sterblich mit ihrem Roman “Drifter”.

Das Publikum war außer sich

Der Geldkoffer

Während Dr. D. ihren Namen aussprach, materialisierte sich die Autorin auf der Bühne, nahm den Geldkoffer mit 3.000 Euro entgegen und reckte ihn triumphierend in die Luft. Etwas Rauch schien aus ihren Ohren zu kommen. Die Presse bestürmte die drei Finalist:innen, die noch Stunden nach der Veranstaltung am Tisch von Bücher Pustet ihre Romane für die zahllosen Fans signieren mussten. Einer der für die deutsche Literaturgeschichte wohl bedeutsamsten Abende neigte sich langsam seinem Ende zu. Wie ein blutig Eisen stand der Mond am Augsburger Himmel, als schließlich die Autorin Sophie Stein, der Bonvivant Emil Probsthain, der aus allen Winkeln der Erde zu jeder einzelnen Veranstaltung des Literaturhauses Augsburg anreist, Timon Karl Kaleyta und Dr. B. ein Taxi in die Innenstadt nahmen. Ach nein, da muss mir ein Fehler unterlaufen sein, denn Dr. B. war ja bereits im City Club.

Im Angesicht des größten Triumphs ihres Lebens vergaß UIrike Sterblich alles um sich herum

Foto Credits: Bruno Tenschert

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Haters gonna hate …